Amanda Lear, geborene Tapp (* 18. November 1939 in Hongkong, Saigon oder Hanoi) ist eine Sängerin, Malerin, Moderatorin, Autorin und Schauspielerin. Einer breiten Öffentlichkeit wurde sie in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre als Disco-Queen mit Hits wie Blood and Honey, Queen of Chinatown oder Follow Me bekannt. Lear war mit Salvador Dalí befreundet und galt als seine Muse. In den 1980er und 1990er Jahren moderierte sie Fernsehshows in Italien, Frankreich und Deutschland.
Nach mehreren Quellen, die einen männlichen Geburtsnamen untermauern würden, soll Lear als Alain Maurice Louis René Tap(p) am 18. Juni 1939 in Saigon geboren worden sein. Als Orte ihrer Kindheit und Jugend werden Südfrankreich oder die französische Schweiz genannt, wo sie ihre Schulbildung und ihre Fremdsprachenkenntnisse in Internaten erworben haben soll.
Amanda Lear begann ihre Erinnerungen 15 Jahre mit Salvaldor Dalí im Herbst 1965, nachdem sie den Maler als Kunststudentin in London kennengelernt hat. 2006 erhielt sie vom französischen Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres den Orden „Chevalier dans l’Ordre National et des Lettres“, der offiziell am 16. Januar 2007 verliehen wurde. Anlässlich der Verleihung gaben die Behörden bekannt, dass der Orden an „Mme Amanda Tapp, dite Amanda Lear“ verliehen werde. Insoweit ist seit diesem Zeitpunkt der Geburtsname bekannt, von dem Lear bis zur Verleihung des Ordens stets behauptete, er sei nicht ihrer.
In der Radio Bremen-Talkshow Drei nach neun, einem ersten deutschen Fernsehinterview im Mai 1976, erwähnt Lear gegenüber der Journalistin Carmen Thomas, dass ihre Mutter Russin und ihr Vater ein britischer Seemann gewesen sei und beide Eltern verstorben seien. Thomas befragte sie auch zu den Gerüchten, als Junge geboren zu sein. Lear wies die Behauptung als „verrückte Idee eines Journalisten“ zurück. Später sagte sie, Salvador Dalí habe die Idee ursprünglich zu Publicity-Zwecken entwickelt.
Die transsexuelle englische Künstlerin April Ashley berichtete 1982 in ihrer Biographie Odyssey, dass sie mit Amanda Lear, die eigentlich Alain Tap heiße und sich Peki d’Oslo genannt habe, Anfang der 1960er Jahre in den Pariser Cabarets Madame Arthur und Le Caroussel als Travestiestars aufgetreten sei. Ashley berichtete weiter, dass sie ihre geschlechtsangleichende Operation 1960 von Dr. Georges Burou in Casablanca habe vornehmen lassen, der kurz darauf auch von Tap konsultiert worden sei. Auch Romy Haag erzählte in ihrer Biografie Eine Frau und mehr, dass Lear unter dem Künstlernamen Peki d’Oslo ab 1962 im Berliner Travestieclub Chez Nous aufgetreten sei. Die Sängerin Evelyn Künneke berichtet in ihrer Biografie Sing Evelyn, sing. Revue eines Lebens, dass Amanda Tap 1962 von Michel Hiro, dem Gründer des Chez Nous, engagiert worden sei, und verweist auf die Aufnahmen, die der Berliner Fotograf Herbert Tobias in dieser Zeit von Tap machte. Auch Ian Gibson ging in seiner Dalí-Biografie von 1998 Lears möglichem transsexuellen Hintergrund nach und widmete ihr in seinem Buch Salvador Dalí. Die Biographie ein eigenes Kapitel. Lear selbst kokettierte mit ihrem androgynen Image in Songs wie The Sphinx (1978), Fabulous (Lover, love me) (1979) oder I’m a Mistery (1986). Im Song Je m’appelle Amanda bekannte sie 2009, „I told so many lies and I denied …“. Noch heute spekulieren Medien, mit welchem Geschlecht Amanda Lear geboren wurde. Lear konstatierte, dass nicht einmal die Nacktfotos, für die sie im Playboy posierte, die Fragen zufriedenstellend beantworten konnten, und soll verfügt haben, nach ihrem Tod eingeäschert zu werden, damit ihr Geheimnis von keinem Pathologen gelüftet werden könne. In 15 Jahre mit Salvaldor Dalí berichtet Lear, dass sie Anfang der 1960er Jahre ein Studium an der Académie des Beaux-Arts in Paris begonnen habe. Ab 1964 setzte sie das Studium an der Londoner St. Martins School of Art fort. Am 11. Dezember 1965 heiratete sie in Chelsea/London den 22-jährigen schottischen Architekturstudenten Paul Morgan Lear, wodurch sie einen britischen Pass erhielt. Der Name der Braut wurde auf dem Standesamt von Chelsea mit „Amanda Tap“ angegeben, Tochter von André Tap, Hauptmann der französischen Armee im Ruhestand. Lear bewegte sich im Nachtleben der Londoner Swinging Sixties und lernte Rockgrößen wie Marianne Faithfull, Mick Jagger und Brian Jones kennen, mit dem sie eine Beziehung hatte. Die Rolling Stones kommentierten das Verhältnis zwischen ihrem Gitarristen und Lear im Song Miss Amanda Jones auf ihrer 1967er LP Between the Buttons.
Aufgrund ihres eurasischen Aussehens und ihrer Körpergröße von 1,78 m wurde sie für die Model-Agentur von Cathérine Harlé entdeckt. Ab 1965 war Lear Modell für Ossie Clark und Paco Rabanne und erschien auf diversen Titelseiten von Jugend- und Modemagazinen. 1967 drehte sie einen Werbespot für ein Parfüm Detchema der französischen Firma Révillon und spielte unter der Regie von Henri Lanoë die Rolle der Monique Rozier im Science-Fiction-Film Ne jouez pas avec les Martiens. In Charles Wilps Werbespot 1968 im Afri-Cola-Rausch spielte sie neben Donna Summer und Marsha Hunt mit. 1969 hatte sie einen Nebenauftritt als Mannequin in der deutschen Krimiserie Der Kommissar. Weitere kleine Film- und TV-Auftritte folgten. 1971 posierte sie am Kreuz und als Nonne mit blinden Augen in der Dezemberausgabe der Vogue, die von Salvador Dalí gestaltet wurde. 1973 posierte sie für das Cover der 2. Roxy Music-LP For Your Pleasure in einem schwarzen Lederoutfit mit einem – gezeichneten – schwarzen Panther.
Bereits 1973 moderierte Lear in der Rolle der Octobriana David Bowies 1980 Floor Show. Bowie, mit dem Lear eine Beziehung hatte, animierte sie zum Singen. Nach einem Vertragsabschluss bei der Ariola trat sie ab 1976 als Sängerin von Disco-Titeln in Erscheinung. Mit Produktionen von Anthony Monn und meist selbstgeschriebenen Texten hatte sie in Südafrika, Europa, Südamerika, Sowjetunion und Japan bis 1983 Hits wie Blood and Honey, Queen of Chinatown oder Follow Me. Lear wurde von Fotografen wie Herbert Tobias, Mick Rock, Pierre et Gilles, Helmut Newton, Robert Mapplethorpe oder Antoine Giacomoni porträtiert und posierte 1977 für den Playboy. Im selben Jahr produzierte der Musikladen ein 45-minütiges Special über Lear.
1978 erschien in Andy Warhols Interview ein Bericht über den Erfolg der Sängerin in Europa. Auf ihren Plattencovern ließ sich Lear mit Peitsche in Lack und Leder fotografieren, posierte wie Marlene Dietrich in Der Blaue Engel mit Zylinder und Strapsen auf einem Holzfass (Sweet Revenge, 1978) oder als Zwitterwesen aus Schlange, Adler und blondem Vamp (Never Trust a Pretty Face, 1979). 1979 heiratete sie Alain-Philippe Malagnac d’Argens de Villele. Die Trauung fand in Las Vegas statt. Malagnac d’Argens de Villele war zuvor der Lebensgefährte des französischen Schriftstellers Roger Peyrefitte.
Wiederholt distanzierte sich Lear, die ursprünglich Rockmusik machen wollte, den Plattenvertrag bei Ariola aber nur unter der Voraussetzung erhielt, Disco zu singen, von ihrer Musik. Als die Discowelle Anfang der achtziger Jahre verebbte, konzentrierte sie sich auf ihre Malerei, moderierte in Italien und Frankreich Fernsehshows und veröffentlichte nur noch wenige Singles. 1986 erschien ihr von Christian de Walden produziertes Album Secret Passion, das auch in den USA veröffentlicht wurde. Aufgrund eines Autounfalls konnte sie die LP nicht vermarkten und schrieb während ihrer Rekonvaleszenz den Roman L’immortelle. 1989 erschien mit Uomini più uomini ihr erstes Album mit Liedern in italienischer Sprache, 1990 folgte ein Album in französischer Sprache.
1995 startete RTL II das Erotikformat Peep! Lear moderierte vom Mai 1995 bis Mai 1996 die ersten 39 Folgen. Weitergeführt wurde das Format von Verona Feldbusch. Die Moderation bei Peep bezeichnete Lear nachträglich als den „größten Fehler ihrer Karriere“. Sie habe befürchtet, dass das deutsche Publikum sie vergessen werde, und die Show zugesagt, obwohl sie der Meinung war, dass „Sex nichts im Fernsehen zu suchen habe“. In Italien moderierte sie eine Show namens Ugly Duckling (Hässliches Entlein). Im Dezember 2000 starb Lears Ehemann Alain-Philippe Malagnac d’Argens de Villele bei einem Brand im gemeinsamen Haus in Saint-Étienne-du-Grès, während sich Lear in Italien aufhielt. In einem Fernsehinterview in der ARD-Sendung Beckmann äußerte sich Lear zu den Umständen des Brandes, ihrem persönlichen Zusammenbruch und ihrer Trauerzeit. Ein Jahr später veröffentlichte sie das ihrem Ehemann gewidmete Album Heart, das beim französischen Plattenlabel Le Marais Productions erschien.
2002 sprach Lear die Figur der transsexuellen Monique Carrera in einigen Folgen der Hörspielreihe Die drei ???. Im selben Jahr spielte sie im Blanca-Li’-Film Le Défi (internationaler Titel: Dance Challenge) mit. Ebenfalls 2002 lernte sie bei der Produktion der italienischen Fernsehserie Il brutto anatroccolo den Tänzer Manuel Casella kennen, mit dem sie bis 2008 liiert war. 2004 synchronisierte sie die Figur der Edna Mode im Animationsfilm Die Unglaublichen – The Incredibles für die französische und die italienische Fassung des Films. Ihr Lied Enigma (Give a Bit of Mmh to Me) wurde 2004, 25 Jahre nach der Veröffentlichung, in zahlreichen Ländern in der Werbung für Kinder Bueno verwendet.
Im Sommer 2005 veröffentlichte sie die Single Paris by Night, die sowohl die Top 50 der italienischen als auch der französischen Charts erreichte. 2008 führte sie als Gastgeberin durch die Disco-Show „La folle Histoire du Disco“ bei France 3’s. Der Fernsehsender ARTE engagierte sie im selben Jahr als Moderatorin für die Reihe Summer of the ’70s, in der Lear die Beiträge und Filme in deutscher und französischer Sprache ankündigte. Mit The Sphinx – Das beste aus den Jahren 1976–1983 erschien 2006 die erste CD-Box, die sämtliche Singles sowie die wichtigsten Albumtracks mit allen Songs von den Originalbändern aus der Ariola-Zeit enthält. Ebenfalls 2006 veröffentlichte Lear das Album With Love mit Evergreens im Big-Band-Stil.
2009 verpflichtete sich Lear als Schauspielerin für das Theaterstück Panique au Ministère und stand mit über 300 ausverkauften Vorstellungen in Paris auf der Bühne. Sie spielte die Großmutter in einem Drei-Generationen-Haushalt, in der sie und die Enkelin unter der strengen Tochter bzw. Mutter leiden, die Ministerin für Erziehung (Ministère de l’Éducation) ist. Von Oktober 2010 bis Ende Februar 2011 befand sich Lear mit dem Stück auf einer Theatertournee durch Frankreich, Belgien und die Schweiz. 2011 veröffentlichte Lear die Single Chinese Walk. Im Sommer desselben Jahres war sie im italienischen Fernsehen Jurorin in der Sendung Dilitti Rock bei Rai 2, der italienischen Variante von X-Factor. 2011 spielte sie am Renaissance-Theater in Paris das Stück Lady Oscar, eine Adaption von Guillaume Mélanies Stück Oscar. 2012 lief sie im Alter von 73 Jahren in einer Prêt-à-porter-Schau in Paris für Jean Paul Gaultier.
Bereits während der Zeit als Modell für Salvador Dali malte Lear. Dali sei allerdings der Meinung gewesen, dass Frauen zum Malen kein Talent hätten; „das Talent säße nämlich in den Hoden und folglich könnten Frauen keines haben“. In verschiedenen Interviews bedauerte Lear, dass die Malerei als ihre wichtigste Ausdrucksform von ihrem Image als „Disco-Queen“ überdeckt werde. Für viele Jahre beeinflusste Salvador Dali, den Lear als Mentor bezeichnete, ihre Kunst. Insoweit sind auch viele erste größere Arbeiten von Lear von der Darstellung des Unwirklichen und Traumhaften geprägt. Später befreite sich Lear vom Einfluss Dalis. In verschiedenen Interviews bezeichnete sie den Befreiungsprozess als eine Art Exorzismus. 2000 fand in der Amsterdamer Torch-Gallery die Ausstellung Not a. Lear statt, an der sich weltweit Künstler beteiligten und Arbeiten zu Amanda Lear anfertigten, darunter Niels Schlumm, Jan Broeckx und Jan Schüler.
Inzwischen hat Lear ihren eigenen Stil entwickelt und stellt ihre Werke seit den frühen 1980er Jahren in Galerien aus. Sie selbst sieht sich inzwischen in der Folge der Nabis (Künstler) um Pierre Bonnard, der Repräsentanten des Fauvismus wie Paul Gauguin oder Paul Cézanne. Dabei wechselt sie Stil, Techniken und Sujets. Ob schwarz-weiße Tuschzeichnung, Papierarbeiten, kräftige Ölfarben, dynamischer Männertorso oder ruhiges Stillleben – alles diene der persönlichen Ausdrucksform und sei eine Form der Therapie, wie Lear oft betont. Im Katalog für die Ausstellung Between Dream and Reality im Jahr 2006 in Hamburg wird ihr Schaffen als Malerin wie folgt beschrieben: „In den Süden Frankreichs umgezogen, distanzierte sich Lear von ihren früheren Arbeiten, die sie in einem Interview als „eine kopierte, darlesque surrealistische Art von Kunst“ bezeichnete. In ihrer neuen Umgebung bezog sie sich auf vorherige Vorbilder wie die Fauvisten. Dieser Einfluss zeichnet sich deutlich in vielen ihrer Landschaften ab, die vor Farbe strotzen und bildliche Motive von Henri Matisse aufgreifen. Manche der sie bevölkernden Figuren erinnern an Paul Gauguins Darstellungen von Szenen aus Tahiti, andere eher an Wesen in Pablo Picassos Arbeiten aus den frühen 1920er Jahren. In der darauffolgenden dunkleren Periode reduzierte die Künstlerin ihre Palette auf vornehmlich Schwarz- und Rottöne. Tiefe verleiht ihren Arbeiten ein irisierendes Blau, mit dem sie die zwei Grundfarben hinterlegt. Martyre, Pferde und Frauenkörper durchbrechen mit dramatischer Kraft die vorgegebene Bildstruktur. […] In ihrer Faszination für den muskulösen Männerkörper malt Lear Männertorsi. Diese Bilder und das eines korinthischen Soldaten polarisieren das Œuvre Lears zunehmend, denn sie stehen femininen Darstellungen von Zärtlichkeit und träumerischen Frauen gegenüber, sowie dem Haupt der Medusa, womöglich ein verstecktes Selbstporträt. Es gelingt Lear, in ihren eigenen Bildern Symbole zu schaffen, die zwar von ihrem eigenen Lebensweg inspiriert sind und ihren Betrachter doch zu eigenen Interpretationen einladen.“