[[Datei:LynnRedgraveHS09TIFF.jpg|miniatur|Lynn Redgrave (2009)]]
'''Lynn Rachel Redgrave''', OBE (* 8. März 1943 in London, England; † 2. Mai 2010 in Kent, Connecticut) war eine britisch-US-amerikanische Schauspielerin. Neben einer fünf Jahrzehnte währenden Bühnenkarriere, die Auftritte in Komödien als auch Dramen miteinschließen, erschien sie in über 90 Film- und Fernsehrollen. Für die Spielfilme ''Georgy Girl'' (1966) und ''Gods and Monsters'' (1998) wurde sie für den Oscar nominiert. Als Angehörige einer bekannten Schauspielerfamilie verarbeitete sie in ihren späteren Lebensjahren eigene biografische Fakten sowie die von Familienmitgliedern zu mehreren erfolgreichen Bühnenstücken.
== Leben ==
=== Kindheit und Ausbildung ===
Lynn Redgrave entstammte der Schauspieler-Dynastie Redgrave. Sie war die jüngste Tochter der Akteure Michael Redgrave (1908–1985) und Rachel Kempson (1910–2003). Ihre älteren Geschwister waren die politisch engagierten Schauspieler Vanessa Redgrave (* 1937) und Corin Redgrave (1939–2010). Sie war die Tante von Natasha Richardson, Joely Richardson und Jemma Redgrave. Lange Zeit fühlte sie sich ihren Geschwistern gegenüber unzulänglich. ''„Vanessa war diejenige, von der erwartet wurde die große Schauspielerin zu sein“'', so Redgrave in einem Interview im Jahr 1999. ''„Es hieß immer 'Corin ist das Hirn, Vanessa der strahlende Stern, oh, und dann ist da Lynn'.“'' Begünstigt wurden diese Zweifel durch ihren Vater, der sich niemals mit den Schauspielambitionen seiner Tochter (''„Dieser sonderbare, scheue Pudding von einem Kind“'') anfreunden konnte. Gleichermaßen war sie weniger politisch engagiert als ihre beiden Geschwister.
Ihre Kindheit verbrachte sie bei Erziehern. Sie sah ihre Eltern selten und beschrieb sich selbst als kränkliches und verschlossenes Kind. ''„Ich habe ihn wirklich nicht gekannt. Ich lebte in seinem Haus. Ich hatte Ehrfurcht vor ihm und ich betete ihn an und ich hasste ihn und ich liebte ihn, alles in einem Aufwasch“'', so Redgrave über ihren Vater. Sie besuchte wie ihre Schwester Vanessa vor ihr die Schule ''Queen's Gate'' in Kensington. In ihrer Jugend begeisterte sie sich für den Reitsport, sah jedoch bald ein, dass ihr eine erfolgreiche sportliche Laufbahn verschlossen bleiben würde. Nachdem sie mit dem Beruf der Köchin geliebäugelt hatte, entschied sich Redgrave im Alter von 15 Jahren eine Karriere als Schauspielerin einzuschlagen.
=== Theaterkarriere ===
Nach dem Besuch der Central School of Speech and Drama debütierte sie 1962 am Royal Court Theatre in einer Inszenierung von ''Ein Sommernachtstraum'' ihres Schwagers Tony Richardson. Sie avancierte zu einem der zwölf Vertragsschauspieler an Laurence Oliviers renommiertem National Theatre, wurde mit Nebenrollen in Stücken von Shakespeare und Bertolt Brecht betraut und ließ ein Talent für die leichte Komödie erkennen. Am New Yorker Broadway spielte sie ihre erste Rolle in Peter Shaffers Komödie ''Black Comedy'' (1967) und bekleidete mit der Billie Dawn in dem Londoner Revival von ''Born Yesterday'' (1973) einer ihrer Lieblingsrollen.
1976 war Redgrave für ihren Part der Vivie Warren in George Bernard Shaws ''Frau Warrens Beruf'' für einen Tony Award nominiert. Für das selbstgeschriebene Ein-Personen-Stück ''Shakespeare for My Father'' (1993–1994), das von der Beziehung zu ihrem Vater inspiriert war, und für das Revival ''The Constant Wife'' (2005) erhielt Redgrave zwei weitere Nominierungen für den wichtigsten US-amerikanischen Theaterpreis. Ihr Debüt als Dramatikerin sah sie als eine Art Selbsttherapie an. 1990 erschien sie in Robert Sturuas Londoner Inszenierung von Anton Tschechows ''Drei Schwestern'' als Mascha neben ihrer Schwester Vanessa (Olga) und ihrer Nichter Jemma (Irina). Zur selben Zeit verurteilte Vanessa Redgrave die US-amerikanische Intervention im Zweiten Golfkrieg, woraufhin Lynn Redgrave sich öffentlich gegen die Meinung ihrer Schwester stellte. Beide sollten sich erst Jahre später wieder aussöhnen. Mit dem Theaterstück ''The Mandrake Root'' widmete sie sich 2001 thematisch ihrer Mutter. 2003 gewann Redgrave für ihren Auftritt als Miss Fozzard in Alan Bennetts ''Talking Heads''-Monologen einen US-amerikanischen Drama Desk Award.
=== Arbeit im Film- und Fernsehen ===
In ihrer Filmkarriere bekleidete Redgrave Rollen in über 90 Film- und Fernsehproduktionen, gleichermaßen in Komödien und Dramen. Ihr Filmdebüt gab sie 1963 mit einem kleinen Part als Bardame in Tony Richardsons Oscar-Gewinner ''Tom Jones – Zwischen Bett und Galgen'' neben George Devine, Susannah York und David Warner, wodurch sie sich für Laurence Oliviers National Theatre empfahl. Nachdem britische Kritiker durch das Drama ''Die erste Nacht'' (1964) auf Redgrave aufmerksam geworden waren, folgte der internationale Durchbruch mit ihrem dritten Film ''Georgy Girl'' (1966), der im London der Swinging Sixties spielt. Die Titelrolle der sympathischen, aber unattraktiven Georgy, die zwischen einem verheirateten Lebemann (gespielt von James Mason) und ihrem jungen Freund (Alan Bates) schwankt, brachte ihr einen Golden Globe Award ein. Bei der Oscarverleihung 1967 konkurrierte sie gemeinsam mit ihrer Schwester um den Preis als ''Beste Hauptdarstellerin'', hatte aber gegenüber Elizabeth Taylor (für ''Wer hat Angst vor Virginia Woolf?'') das Nachsehen.
Durch ''Georgy Girl'' war Redgrave laut eigenen Angaben lange Zeit auf den Part des ''„glücklichen Mädchens mit dem gebrochenen Herzen“'' abonniert, konnte aber nicht an den Überraschungserfolg des Films anknüpfen. Sie beschrieb im Jahr 2003 den frühen Durchbruch als Filmschauspielerin als ''„zweischneidiges Schwert“''. ''„Du bezahlst letzten Endes einen Preis dafür [...] Du bist auch zu jung um Urteilsvermögen zu haben, um zu entscheiden was Du mit deiner Karriere anfängst, also beginnen andere Leute dir zu erzählen, was du tun solltest und du denkst, dass sie es besser wissen“'', so Redgrave. Mit Woody Allens Satire ''Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten'' gab die Britin 1972 ihr Debüt im US-amerikanischen Kino. Sie entwickelte sich nach ihrer Übersiedlung in die Vereinigten Staaten zu einer ausgezeichneten Komödiendarstellerin mit einem unerschrockenem, frechen Sinn für Humor.
Bekanntheit in den Vereinigten Staaten erlangte sie durch verschiedene Rollen in Fernsehserien. Die Hauptrolle einer Verwaltungsangestellten in der US-amerikanischen Krankenhausserie ''House Calls'' (1979–1981), ein Ableger der gleichnamigen Kinoproduktion (1978, deutscher Titel: ''Hausbesuche'') mit Glenda Jackson, brachte Redgrave eine Emmy-Nominierung als beste Komödiendarstellerin ein. In ''Teachers Only'' (1982–1983) war sie als Englischlehrerin an einer High School in Los Angeles zu sehen. Außerdem erschien sie als Gast in verschieden Talk- und Game Shows. 1991 übernahm sie in einer Fernsehadaption von ''Was geschah wirklich mit Baby Jane?'' die Titelrolle, in der ihre Schwester Vanessa den Part der Blanche spielte.
Nach jahrelanger Kinoabstinenz machte Redgrave zu Beginn der 1990er Jahre mit Charakterrollen wieder auf sich aufmerksam. 1996 spielte sie die Ehefrau des Pianisten David Helfgott (Geoffrey Rush) in der Oscar-prämierten Künstlerbiografie ''Shine – Der Weg ins Licht''. 1998 folgte ein weiterer Golden-Globe-Gewinn und ihre zweite Oscar-Nominierung für die Rolle der loyalen ungarischen Haushälterin des Horrorfilm-Regisseurs James Whale (Ian McKellen) in dem Film ''Gods and Monsters''. 2002 spielte sie in David Cronenbergs preisgekröntem Mystery-Drama ''Spider''. 2005 war sie neben Natasha Richardson und Vanessa Redgrave in James Ivorys Historiendrama ''The White Countess'' zu sehen. Ihren letzten Kinoauftritt hatte sie als Betrunkene in der US-amerikanischen Komödie ''Shopaholic – Die Schnäppchenjägerin'' (2009). Im selben Jahr absolvierte Redgrave ihre letzten Gastrollenauftritte in den Fernsehserien ''Criminal Intent – Verbrechen im Visier'' und ''Alles Betty!''.
=== Privatleben und Tod ===
Lynn Redgrave lebte ab 1974 mehrere Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten und erhielt 1998 die amerikanische Staatsangehörigkeit. Sie war von 1967 bis 2000 mit dem ehemaligen Kinderdarsteller John Clark verheiratet, der ihr Manager wurde. Aus der Ehe stammen ein Sohn und zwei Töchter. Eine 1981 eingereichte Klage über 10 Mio. US-Dollar gegen das angebliche Verbot, ihre Tochter am Set der US-Fernsehserie ''House Calls'' (1979–1981) zu stillen, kostete sie die Rolle und führte zu einem jahrelangen Rechtsstreit.
Die verlorene Klage brachte sie an den Rand des finanziellen Ruins und hatte laut eigenen Angaben einen negativen Effekt auf ihre Karriere. ''„Es war nicht gerade so, dass ich auf die Schwarze Liste gesetzt wurde, aber Hollywood ist die kleinste Stadt der Welt und Universal ist das mächtigste Studio der Welt und es war eben viel komfortabler, mich nicht zu engagieren“'', so Redgrave im Jahr 1994.
Ihre Beziehung mit Clark zerbrach, nachdem dessen frühere Affäre mit Redgraves späterer Schwiegertochter 1998, aus der ein angeblicher Enkelsohn stammte, an die Öffentlichkeit kam. Von 1983 bis 1991 warb Redgrave für Weight Watchers und legte 1991 mit ''This is living'' ihre Autobiografie vor, in der sie sich unter anderem mit ihrer Bulimie-Erkrankung auseinandersetzte. 2001 wurde sie für ihre Verdienste als Schauspielerin zum Officer of the Order of the British Empire (OBE) ernannt.
2010 starb Lynn Redgrave im Alter von 67 Jahren in ihrem Haus in Connecticut. Ihrem Tod war eine jahrelange Brustkrebserkrankung vorausgegangen, über die sie mit ihrer Tochter Annabel Clark das Buch ''Journal: A Mother and Daughter's Recovery from Breast Cancer'' (2004) veröffentlichte. Die Diagnose half ihr, sich mit ihrer Schwester Vanessa auszusöhnen, deren radikale politische Ansichten beide über Jahre entzweit hatten. Ihre Krankheit verarbeitete sie außerdem in ihrer preisgekrönten One-Woman-Show ''Nightingale'' (2006), zu der sie auch durch das Leben ihrer Großmutter Beatrice Kempson und das Ende ihrer 32 Jahre dauernden Ehe mit Clark inspiriert worden war. Ihre letzte Theaterarbeit war das selbstgeschriebene Stück ''Rachel and Juliet'' (2009/2010), das von der Faszination ihrer Mutter zu William Shakespeares ''Julia'' handelte.
== Theaterstücke (als Autorin) ==
* 1993: ''Shakespeare for My Father''
* 2001: ''The Mandrake Root''
* 2006: ''Nightingale''
* 2009: ''Rachel and Juliet''
== Auszeichnungen ==
=== Theater ===
Tony Award
* 1976: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' in einem Theaterstück für ''Mrs. Warren’s Profession''
* 1993: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' in einem Theaterstück für ''Shakespeare for My Father''
* 2006: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' in einem Theaterstück für ''The Constant Wife ''
Drama Desk Award
* 1985: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' in einem Theaterstück für ''Aren’t We All?''
* 1993: nominiert für die beste ''One-Person Show'' für ''Shakespeare for My Father''
* 2003: ''Beste Nebendarstellerin'' in einem Theaterstück für ''Talking Heads''
* 2006: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' in einem Theaterstück für ''The Constant Wife''
=== Film und Fernsehen ===
Oscar
* 1967: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' für ''Georgy Girl''
* 1999: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' für ''Gods and Monsters''
British Academy Film Award
* 1965: nominiert als ''Beste Nachwuchsdarstellerin'' für ''Die erste Nacht''
* 1967: nominiert als ''Beste britische Darstellerin'' für ''Georgy Girl''
* 1997: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' für ''Shine''
* 1999: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' für ''Gods and Monsters''
Emmy
* 1981: nominiert als ''Beste Hauptdarstellerin'' in einer Comedy-Serie für ''House Calls''
Golden Globe Award
* 1967: ''Beste Hauptdarstellerin – Komödie oder Musical'' und nominiert als ''Beste Nachwuchsdarstellerin'' für ''Georgy Girl''
* 1981: nominiert als ''Beste Seriendarstellerin'' (Komödie/Musical) für ''House Calls''
* 1999: ''Beste Nebendarstellerin'' für ''Gods and Monsters''
Kansas City Film Critics Circle Award
* 1968: ''Beste Hauptdarstellerin'' für ''Georgy Girl'' (gemeinsam mit Vanessa Regrave für ''Camelot – Am Hofe König Arthurs'')
Laurel Award
* 1967: 2. Platz in der Kategorie ''Beste Nachwuchsdarstellerin'' für ''Georgy Girl''
London Critics’ Circle Film Award
* 2000: ''Beste britische Nebendarstellerin'' für ''Gods and Monsters''
New York Film Critics Circle Award
* 1966: ''Beste Hauptdarstellerin'' für ''Georgy Girl'' (gemeinsam mit Elizabeth Taylor für ''Wer hat Angst vor Virginia Woolf?'')
Palm Springs International Film Festival
* 2003: ''Career Achievement Award''
Satellite Awards
* 1999: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' (Drama) für ''Gods and Monsters''
Screen Actors Guild Awards
* 1997: nominiert in der Kategorie ''Bestes Schauspielensemble'' für ''Shine''
* 1999: nominiert als ''Beste Nebendarstellerin'' für ''Gods and Monsters''