Ein Objet trouvé (franz. für ‚gefundener Gegenstand‘) ist ein Alltagsgegenstand oder Abfall, der wie ein Kunstwerk behandelt wird. Readymade (abgeleitet von engl. ready-made article = ‚Fertigware‘) wird er genannt, wenn ein Künstler am vorgefundenen Objekt keine oder kaum Bearbeitungen vorgenommen, den Gegenstand also lediglich präsentiert und für Kunst erklärt hat.

Entstehung und Objekte

Bereits in der älteren Skulptur wurden vorgefundene Gegenstände integriert, wie Kleider, Waffen, Schmuckstücke oder Alltagsgegenstände. Diese sind jedoch nicht als Objets trouvés zu bezeichnen, da sie für sich keinen Kunstcharakter besitzen und auch nicht den Ausgangspunkt eines Kunstwerks bilden, sondern dieses nur ergänzen. Entstanden ist das Objet trouvé im Umkreis des Dadaismus als skulpturale Erweiterung der Collage (Kurt Schwitters, Merz-Bauten). Der Missbrauch und die zweckfreie Kombination von trivialen Gegenständen und Materialien in neuen Sinnzusammenhängen sowie die Erhebung zum Kunstwerk hatte spielerische, anarchische und provokante Züge.

Im Surrealismus bekam das Objet trouvé einen eher fetischartigen Charakter. Lautréamonts 1874 formulierte Metapher aus den Gesängen des Maldoror „Schön wie die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch“ (gemeint war ein junger Mann) wurde nicht nur zum „Slogan“ des Surrealismus, sondern ist auch eine literarische Vorwegnahme des Objet trouvé in dieser surrealen Form. Bekanntestes Beispiel des surrealistischen Objet trouvé dürfte Meret Oppenheims Das Frühstück im Pelz (1936) sein, eine Tasse samt Untertasse und Löffel, alle mit Pelz bezogen.

Radikaler und früher als Dadaisten und Surrealisten verwirklichte der Franzose Marcel Duchamp das Konzept des Objet trouvé in seinen Readymades wie Fahrrad-Rad (1913), Flaschentrockner (1914) und Fontäne (1917). Während Fahrrad-Rad noch aus einer Kombination aus Rad, Fahrrad-Vordergabel und Holzhocker besteht, werden bei den beiden anderen ein industriell hergestelltes Drahtgestell zur Flaschentrocknung und ein Urinal kurzerhand auf einen Sockel gestellt und zur Kunst erklärt. Der Gegenstand wird aus von seinem ursprünglichen Gebrauchszweck gelöst und durch die Aufstellung und den gewählten Titel semiotisch neu aufgeladen. Der künstlerische Akt liegt also primär im Auswählen bzw. im Erkennen des künstlerischen Potenzials eines Alltagsgegenstandes, womit gleichzeitig der traditionelle Kunstbegriff ironisiert wird.

In dieser Tradition steht auch Picassos Stierschädel (1943), der Bronzeabguss eines Fahrradsattels als Schädel mit einem Rennlenker für die Hörner.

Mit dem Multiple ich kenne kein Weekend (1971–1972) reflektierte Joseph Beuys auf die Duchamp’schen Boîtes-en-valises, den tragbaren Künstlermuseen mit Reproduktionen und kleinen Objekten. In einen Koffer, einem Readymade, der dazu dient, Künstlergrafiken zu transportieren, befestigte Beuys auf der Innenseite des Deckels weitere Readymades, eine Maggiflasche und ein Exemplar der Reclam-Ausgabe von Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“, gestempelt mit BEUYS: ich kenne kein Weekend. Im Boden des Koffers befinden sich – abgedeckt und nicht sichtbar – Grafiken von KP Brehmer, Karl Horst Hödicke, Peter Hutchinson, Arthur Køpcke, Sigmar Polke und Wolf Vostell.

Im Sinne des Objet trouvé sammelt der französische Konzeptkünstler Saâdane Afif seit 2008 Abbildungen von Marcel Duchamps Fountain aus verschiedensten Publikationen. Die Seiten des Duchamp’schen Urinals trennt Afif aus den Publikationen heraus und lässt sie als Teil seines prozessualen Kunstprojektes Fountain Archive rahmen. Die Rahmenobjekte stellen somit neue, eigenständige Werke dar.

Objet trouvé und Readymade haben bis heute großen Einfluss behalten – der „gefundene Gegenstand“ ist beispielsweise bei Pop Art und Land Art ein wesentliches Element.

Das Konzept des Objet trouvé ist etwas umfassender als jenes des Readymades, indem es auch Alltagsgegenstände umfasst, die in ein Kunstwerk integriert wurden. Letztere sind dagegen – zumindest in Duchamps Verständnis – nicht als Readymades anzusehen.

Quer zu den Stilrichtungen hat sich für Kunstwerke, die vor allem aus vorgefundenen Materialien bestehen, der Begriff Objektkunst etabliert.

Readymades nach Marcel Duchamp

Korrespondierend mit Duchamps eigenen Klassifizierungen unterscheidet der Kurator Francis M. Naumann im Glossar seines Buches Marcel Duchamp – The Art of Making Art in the Age of Mechanical Reproduction von 1999 insgesamt sechs Arten des Readymades: „assisted readymade, imitated rectified readymade, printed readymade, readymade (or ready-made), rectified readymade, semi-readymade“:

  • Assisted Readymade („unterstütztes Readymade“), ein Alltagsgegenstand, der mit einem anderen Objekt kombiniert, also von diesem „unterstützt“ wird. Beispiel: Fahrrad-Rad von 1913.
  • Rectified Readymade („verbessertes Readymade“), ein Kunstwerk oder die Reproduktion eines Kunstwerkes, das von Duchamp beziehungsweise dem „nachfolgenden“ Künstler (z. B. mit einem Stift oder einem Pinsel) verbessert wurde. Beispiele: Apolinère Enameled, ein übermaltes Emailleschild von 1916–1917 oder L.H.O.O.Q., eine mit einem Schnauz- und Spitzbart bekritzelte, „verbesserte“ Reproduktion der Mona Lisa von 1919.
  • Imitated rectified Readymade („nachgemachtes, verbessertes Readymade“), die Reproduktion eines Rectified Readymade.
  • Printed Readymade („gedrucktes Readymade“) ist poetisch-literarischer Art, also das vorgefundene, gedruckte Wort und die durch Duchamp daran vorgenommenen Änderungen, Wortspielereien oder Verballhornungen des Begriffes. Beispiel: French Window in Fresh Widow.
  • Readymade, das Readymade „an sich“, als unverändertes, adaptiertes Objekt wie beispielsweise das Urinal Fountain, 1917.
  • Semi-Readymade („Halb-Readymade“), wenn das Objekt bereits Teil eines anderen Gebrauchsgegenstands war. Als Beispiel sei Duchamps Stahlkamm Peigne von 1916 genannt, dessen zwei Stanzlöcher ihn als Teil eines anderen Gebrauchsgegenstandes ausweisen (Griff oder ähnliches).

Des Weiteren findet sich das Reciprocal Readymade („reziprokes, wechselwirksames Readymade“), als etwas unklar von Duchamp formulierter Grundgedanke aller Readymades „die Idee der Wechselwirkung zwischen Kunst und Alltagsleben“, die er zwischen 1911 und 1915 auf Notenblättern zu Papier brachte: „Reciprocal Readymade: Use a Rembrandt as an ironing board.“ (deutsch: „Reziprokes Readymade: Man benutze einen Rembrandt als Bügelbrett.“) Duchamp veröffentlichte die Notizen 1934 in der Green Box (The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even).

Quelle: Wikipedia